Wie mit Nachträgen umzugehen ist, ist in der VOB/B nachvollziehbar und auch fair geregelt:
Grundsätzlich hat der Auftragnehmer nicht vereinbarte Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, auf Verlangen des Auftraggebers mit auszuführen, es sei denn sein Betrieb ist auf derartige Leistungen nicht eingerichtet (§ 1 Abs. 4 S. 1 VOB/B).
Zeichnet sich also im Rahmen des Baufortschritts ab, dass eine nicht vereinbarte Leistung ausgeführt werden muss, so kann der Auftraggeber die Ausführung gemäß § 2 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B anordnen. Dem Auftragnehmer steht dann hierfür eine besondere Vergütung zu, sofern er die Mehrkosten vor der Ausführung ankündigt.
In der Praxis wird diese klare Linie der VOB/B jedoch leider regelmäßig dadurch "sabotiert", dass sich die Auftraggeber nicht eindeutig erklären.
Der Regelfall sieht leider wie folgt aus:
Der Auftragnehmer stellt fest, dass er eine Leistung ausführen muss, die vertraglich nicht geschuldet ist, um das Werk herzustellen. Dies teilt er dem Auftraggeber mit, kündigt Mehrkosten an und wartet auf eine Anordnung zur Ausführung. Der Auftraggeber jedoch erteilt keine Anordnung, weil er sich die zusätzliche Vergütung ersparen möchte, sondern fordert den Auftragnehmer einfach pauschal auf das Werk funktionsgerecht herzustellen.
Dies führt dazu, dass sich der Auftragnehmer in einer Zwickmühle befindet:
Führt er die Zusatzleistung in Ermangelung einer klaren Anordnung aus, so besteht die Gefahr, dass er später keine Vergütung erhält. Verweigert er hingegen die Leistung bis zur Erteilung einer Anordnung, so besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber den Bauvertrag vorher fristlos kündigt, da Nachtragsstreitigkeiten grundsätzlich nicht zur Arbeitseinstellung berechtigen (OLG Stuttgart, Urteil vom 17.08.2021 - 10 U 423/20; BGH, Beschluss vom 01.06.2022 - VII ZR 826/21).
Eine schlechte Ausgangslage für den Auftragnehmer.
Eine Hilfestellung kommt in Form des Urteils des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 22.04.2022 (2 O 119/22).
In dem vom Landgericht Dessau-Roßlau entschiedenen Fall wurde der Auftragnehmer mit der Durchführung von Stahlbauarbeiten beauftragt. Nach Aufnahme der Arbeiten unterbreitete der Auftragnehmer diverse Nachtragsangebote, insbesondere über zusätzlich erforderliche Stützen für die Herstellung des Laubengangs. Der Auftraggeber verweigerte eine Beauftragung des Nachtrags, bestand aber zugleich auf einer funktionsgerechten Herstellung.
Nach Auffassung des Landgerichts steht dem Auftragnehmer eine Zusatzvergütung zu. Es handele sich um zusätzliche Leistungen, deren Notwendigkeit für die funktionsgerechte Herstellung erkennbar war. Die Weigerung des Auftraggebers, die Ausführung des Nachtrags anzuordnen, stelle einen Verstoß gegen die Kooperationspflicht dar. Die Weigerung sei deshalb unbeachtlich. Fordere der Auftraggeber - wie hier - die Einhaltung einer funktionsgerechten Ausführung, dann verlange er zugleich die Ausführung aller hierfür erforderlichen Arbeiten, was als Anordnung ausgelegt werden könne.
Fazit:
Es handelt sich um eine überaus begrüßenswerte Entscheidung, die die Rechte der Auftragnehmer erheblich stärkt. Aus der im Baurecht geltenden Kooperationspflicht ist in der Tat zu folgern, dass sich in dem Fall, in dem Nachtragsleistungen relevant werden, der Auftraggeber klar und eindeutig erklären muss: Verlangt er die Herstellung eines funktionsgerechten Werkes, so bedeutet dies, dass er auch den Nachtrag akzeptiert und zahlen muss. Er kann sich nicht mehr in ein Schweigen retten und den Auftragnehmer im Unklaren lassen.
Zum Autor:
Rechtsanwalt Jörg Bach ist Gesellschafter und Partner der Kanzlei EISENBEIS PARTNER.
Er ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie für Miet- und Wohnungseigentums-recht und vertritt deutschlandweit namhafte Bauunternehmen bei der Durchsetzung ihrer Rechte.
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